Nun, jetzt darf ich wieder zur Arbeit. Es tat gut, die Klasse zu sehen, die Verbindung war sofort wieder da. Es war anstrengend, ich bin mir so viele Menschen nicht mehr gewohnt. Ich verstehe auch, weshalb ich nicht hindurfte. Mir folgen sie auf ein Augenzucken. Der Stellvertreter muss richtig ackern. Obwohl er sich Mühe gibt, spüre ich da keine Verbindung.
Es war schön, wieder dort zu sein. Aber…
Aber.
Das Bekannte ist fremd. Oder weit weg. Alles ist so weit weg, selbst wenn ich jetzt wieder dort bin. Mein Ich vor der Krankheit ist auf einem andere Kontinent, als mein Ich jetzt ist. Sehen das die anderen?
Einer sprach mich an. Meine Ausstrahlung… Ich sähe so anders aus.
Vieles ist weit weg. Das habe ich heute wieder gemerkt auf dem Weg in den Park. Ich war in einem Quartier, in dem ich ins Gymnasium ging. Ich erinnere mich genau, an meine Träume, meine Kämpfe, meine Unsicherheit. Und wenn ich – sagen wir vor 3 Jahren – diese Strassen entlang gefahren bin, so habe ich einen grossen Teil davon noch gespürt. Gepaart mit einer Trauer, um die Träume, die zerbrochen, die Naivität, die an den Klippen des Lebens zerschellt.
Das fehlt.
Ja, ich weiss, wer ich war. Wie unsicher. Wie suchend. Ich weiss, was ich alles verloren habe auf dem Weg, gesucht und wer weiss, ob ich es je finden werde. Aber das ist keine Trauer. Manchmal etwas Melancholie. Besonders in lauen Sommernächten, diese nun alleine geniessen zu müssen. Aber vor allem ist da Ruhe.
Eine Art Glück.
Diese Freude, am Leben zu sein.
Manchmal kommen mir die Tränen, wenn ich den Mond sehe. Einfach weil er da ist und ich ihn noch sehen darf.
Und dann sauge ich das Bild in mich auf, vielleicht, wer weiss das schon, was morgen ist.
In der Reha hatte ich geweint, als ich das erste Mal spazieren ging. Geheult wie ein Schlosshund. Der Schnee, der glitzernde Fluss in der Sonne und die Berge. Ich war so überwältigt, dass ich das erleben kann und kam mir dann armselig vor, wegen sowas zu weinen.
Jetzt nicht mehr. Wer kann sich schon so an einer Mondsichel zwischen zwei Tannen freuen, wie ich. In meinem Alter.
Da fuhr ich heute in der Strassenbahn durch diese Strassen, durch die ich magersüchtig gestakst bin, unsicher, immer falsch, am falschen Ort. Ein Entwurf nur, eine Skizze, unfertig und mangelhaft. Hingeworfen in die falsche Familie. Und ich empfinde nur Ruhe. Und Frieden.
Dann sage ich mir, he, belüg dich doch nicht! Du bist noch in der Krebstherapie, alleinerziehend, kürzlich verlassen, kämpfst um einen realistischen Wiedereinstieg in die Arbeit. So hattest du das nicht geplant!!!
So nicht.
Ich frage mich, was mein früheres Ich zu mir sagen würde, das durch diese Strassen Staksende, wenn es wüsste, was da alles noch kommt. Verzweifeln würde es, glaube ich.
Und doch.
Trotz allem, wäre es gerne ich. Weil ich in mir Ruhe.
Nicht immer.
Heute habe ich so einen gescheiten Spruch gelesen. Zusammengefasst hiess der: Ich möchte für dich der Freund sein, der da ist. Der dir die Hand reicht, der dir hilft. Du musst nicht immer alles alleine tragen. Da draussen ist eine Welt, die dich braucht und liebt. Du bist nicht allein.
Und da habe ich auch geheult. Weil so jemanden möchte ich gerne mal haben.
Einmal in meinem Leben.
Viele Nächte habe ich die letzten Wochen schlecht geschlafen, weil ich mich aus der Arbeit raus gemobbt fühlte, abgeschnitten vom Leben. Alle lassen mich Kranke links liegen. Weil ich nicht lustig bin. Weil ich störe, weil ich noch nicht funktioniere. Weil jeder sich in seinem eigenen Universum nur um sich selber dreht.
Das macht auch dieses „aber“-Gefühl aus. Alle sind noch gleich, nur ein Jahr älter. Ich bin einmal quer durchs Universum geschleift worden. Musste mich zusammen sammeln, flicken, aufrichten.
Und bin jetzt müde manchmal, krank, zweifelnd. Aber genauso, wie ich bin.
Ich will nicht mehr sein, wie früher, als ich jünger war.
Und ich hoffe, dass ich das möglichst behalten werde. Auch wenn es unbequem für mein Umfeld ist. Und für mich dadurch auch. Mich vielleicht einsam macht.
Abends sah ich diese Häuser, diese Strassen. Und war etwas traurig über all die Dinge, ich dich im letzten Jahr verloren habe. Und dennoch, ist da etwas dazugekommen, was ich mir nicht erklären kann.
Wurzeln vielleicht.
Endlich.
Zarte erst, aber sie wachsen.
Dann im Park, alles voll Sommerschwärmer.
Und ich nahm die Kopfhörer und hörte die anderen sagen, oh nein, so viele Leute, da kann ich doch nicht tanzen. Ich geh nach hinten.
Und ich dachte, das ist mir sowas von scheissegal!
Ich tanze.
Nach den anderthalb Stunden klopft mir jemand auf die Schulter: Entschuldige bitte, dass ich dich so angeguckt habe. Aber ich schaute dir so gerne beim tanzen zu!
Kein Problem. Ich habe es nur peripher mitgekriegt.
Wenn ich tanze, dann lebe ich.
Und ich hoffe, ich vergesse das nicht.
Tanz dein Leben!
