Breaking News: Glatze braucht Shampoo

Nein, sie ist noch nicht da, die Glatze.
Dafür Gretli, meine Zweitfrisur.

IMG_3073Im Moment rieseln die Haare. Es ist sehr eklig. Ich versuche die Haare gründlich auszubürsten und so möglichst viel einzufangen, aber trotzdem bleiben mir immer etwa 10 Haare an der Hand hängen, wenn ich mir durch die Frisur fahre: Haare in der Sonnebrille, Haare im Teller, Haare auf dem Sofa.

Und dann hatte ich gestern ein Büschelchen in der Hand. Jetzt dann Chemo Nr. 2 und dann ist Wochenende. Da möchte ich nicht plötzlich oben ohne dastehen, also ging ich sie holen. Nur provisorische Anpassung, weil Kahlscheren wollte ich noch nicht.

Da ich so viele Haare habe, fällt der Haarausfall erst Leuten auf, die mich sehr gut kennen oder sehr nahe kommen und die Häärchen vom Shirt zupfen.

Falls es schlimmer wird übers Wochenende, sei es mit dem Ausfall oder mit der empfindlich bis schmerzenden Kopfhaut, dann rasiere ich.
Offenbar muss man 1mm stehen lassen, damit die Haare wirklich ausfallen können und nicht etwa einwachsen. Ein Kleiderroller funktioniere gut, um die Stummelchen von der Glatze einzusammeln. Dann bitte weiter mit einem PH-neutralen Shampoo waschen. Weil man wasche ja die Kopfhaut, nicht wirklich die Haare. Und Pflege mit Oel und Sonnenschutz nicht vergessen.

Also bin ich in die Apotheke nach einem PH-neutralen Shampoo zu fragen. Leider hatten sie gar keine Auswahl.
> Ja, hier habe ich eins. Das hat noch Conditioner und hilft gegen wirre Haare.
> Eigentlich brauche ich eher was, für wenn ich keine Haare mehr habe.
Kurze Pause, nachdenken.
> Aha. Ja, dann vielleicht nicht das.

Gespräche: Haar-Verhandlungen

Ich: Guckt mal. Jetzt rieseln die Haare.
Grosser: Oh ja, das sind mehr als bei mir.
Ich: Ich glaub, jetzt schneid ich sie kurz.
Kleiner: NEEEEEIIIIINN!
Ich: Aber Kleiner, sie fallen ja eh aus. Aber so lange Haare die rumliegen sind eklig.
Kleiner: Glatze ja, kurze Haare nein.
Ich: Abrasieren? Will ich aber noch nicht. Hab ja noch viele.
Grosser: Du kannst ja, falls deine Perücke schon fertig ist, die Haare schneiden und dann die Perücke aufsetzen, bevor Kleiner heimkommt.

Kleiner zu Grosser: DAS HAB ICH GEHÖRT!

Tipps ungebeten: gratis und franko

Was man so alles gesagt gekriegt und was ich darauf nicht geantwortet habe.

Nur weil ich verstehe, dass die ungebetenen Ratschläge offenbar ein Versuch sind, mit der eigenen Hilflosigkeit umzugehen.

> Ach und Sie benutzen immer noch Aluminium-Deo? Das weiss doch inzwischen jeder, dass der Brustkrebs auslösen kann. Schauen Sie mal die Doku auf arte.

Aha. Ich Depp bin also deomitschuldig. Aber jetzt ist eh zu spät.

> Was direkt Chemo? Die sollte doch erst zum Schluss kommen. Also ich würde erst alles andere probieren.

Sie haben keine Kinder? Dann dürfen sie eh machen, was sie wollen. Mit richtig viel Metastasen lohnt sich die Chemo dann wenigstens, nicht?

> Die Pharmafirmen wollen ja nicht heilen, die wollen nur Geld verdienen.

Aha. Tote brauchen aber keine Medikamente mehr.

> Allen Zucker weglassen, sofort! Und kein Fleisch und keine Milchprodukte.

Und Gluten? Und Bio? Und Eier? Nüsse? Nix aus China? Kein Nestlé?

> Schon von Methadon gehört? Das hat einer Patientin wahnsinnig geholfen.

Das wurde in der Studie leider nicht bestätigt und war ein Einzelfall. Ich könnts vielleicht mit Heroin versuchen?

> Sie sollten basisch essen. Gerstengras. Schmeckt zwar wirklich wie Gras. Aber da hat einer mal sich nur davon ernährt und sich so vom Krebs geheilt.

Ich beiss nicht schon ins Gras, solange ich noch lebe.

Punk und Krebs: Stinkefinger nicht vergessen

Alle sprechen immer davon, gegen den Krebs zu kämpfen. Ich weiss nicht, ob man das kann. Ich kann nicht dauernd mit erhobener Hellebarde rumrennen und die starke Frau mimen. Manchmal ist schlicht auch die Erschöpfung zu gross.
Ich bin immer noch zufrieden mit mit meinem Leben und halte mich für glücklicher als einige, daran ändert auch die Diagnose nichts. Das heisst nicht, dass ich nicht wütend bin, weine oder mich bedauere. Wie am Samstag, als ich fast kollabierte in der Stadt und das Gefühl hatte, nur noch 10% ich zu sein, der Rest ist Erschöpfung.
Aber noch bin ich hier. Ich lebe und die Prognose ist gut.

Ich versuche mir meinen Stinkefinger zu bewahren. Ich nehme die Krankheit ernst, aber ich darf trotzdem darüber witzeln. Ich stehe aus Protest aufs Skateboard, obwohl ich eigentlich nicht in der Verfassung bin: nach der Mammographie, nach dem CT und sobald es mir letzte Woche Donnerstag nicht mehr so übel war. Auch wenn nicht mehr drin liegt, als einmal quer über den Platz pushen, Quarter rauf, Fakie runter und Revert und das alles quasi Zeitlupe.
Ich war am Samstag an der Premiere des Skatefilms, auch wenn leider nur kurz. Aber ich war da.

Da, Krebs! 🖕
Ich lass mir nicht alles nehmen!

Blut ist gut

>Haben Sie Ihren Mann zur Blutprobe geschickt.
>Wird schwierig. Ex-Mann hätte ich zu bieten oder Freund.
>Uhh. Sorry. Das war nicht Ihr Mann? Das war Ihr Freund?
>Ja. Aber das Blut war trotzdem von mir.
>Das sieht total gut aus. Entweder wir haben den Tiefpunkt verpasst oder der kommt noch. Aber das habe ich nicht erwartet.
>Well…

Nebenwirkungen: Teelicht

Eigentlich bin ich sonst mehr ein Walpurgisnachtfeuer. Nun ist meine Grundenergie zu einem Teelicht geschrumpft.
Brennt es zu lang, ersäuft der Docht im flüssigen Wachs und das Licht löscht.
Dann muss ich warten, bis der Wachs wieder ausgehärtet ist, bevor ich eine neue Flamme anzünden kann.

Praktisch heisst das: Entweder Tee trinken oder einkaufen gehen, nicht beides: maximal 2 Stunden unterwegs, dann 2 Stunden Schlaf.
Und unterwegs beginnt nicht erst mit der Haustüre, die ins Schloss fällt, sondern mit planen, duschen, anziehen, packen…

Nebenwirkungen: Kaffee ade

Sie hatten mich gewarnt, dass sich durch die Chemo der Geschmack ändern kann. Auch können die Schleimhäute trockener sein, schneller bluten – also nur noch Zahnbürste supersoft!

Nachdem es mit endlich nicht mehr speiübel war und der Geruch von Kaffee wieder lecker roch, wollte ich wieder einen trinken.
Leider schmeckte er, wie wenn man sich eine Schmerztablette langsam auf der Zunge zergehen lässt: unglaublich bitter!