Wenn nicht jetzt, wann dann.
Der Krebs als Freibrief zur Neuerfindung seiner selbst?
Will ich das?
Muss ich das?
Muss ich das wollen?
Was möchte ich von meinem Leben vorher zurück, was behalten, was kann weg?
Ich weiss es nicht.
Einzig, dass ich mehr Einfachheit will. Alles Komplizierte, Stress produzierende darf weg.
Ich will nicht mehr so viel Arbeiten, kann es wahrscheinlich gar nicht mehr. Ich möchte nicht mehr jeden Tag um 05:30 Uhr aufstehen und durch den Tag hecheln: Kinder wecken, Arbeit, Sport, Arbeit, Einkaufen, Kinder holen, Kochen, Haushalt und dann nach 15h-non-stop-Gerenne endlich Feierabend.
Ich möchte mich nicht mehr in meiner Stärke beweisen müssen. Dieses Alles-gebacken-kriegen ist fatal.
Ich will zuverlässige Partner, mehr Luft für mich und meine Träume.
Das Problem mit dem Umkrempeln ist, solange die Krebstherapie läuft, bin ich in der Medizinmangel.
Ich bin entweder Krebspatient oder Krebskranke, immer in den Fängen der Krebskrake.
Nie nur Tinkakartinka.
Es gibt keine Arbeitskollegen, wenig Freunde, kaum Normalität, die mir ein Ich fern der Krankheit spiegeln. Die Krake sitzt immer mit am Tisch.
Habe ich mich verändert durch die Krankheit? Von mir entfernt? Oder bin ich mir näher gekommen.
Wer bin ich, ist die Krake mal weg.
Wer könnte ich nun sein, was will ich.
Alles Fragen, in deren Strudel ich mich um mich selbst drehe. Ich tanze mit der Krake im Kreis.
Kann mich aber kaum im Leben ausprobieren.
Irgendwie alles
unbeantwortbar mittendrin.
Und nachher, soll ich einfach wieder funktionieren?
In der Schweiz ist keine Krebs-Reha vorgesehen. (In der Schweiz arbeitet man ja auch bis zum Geburtstermin als Mutter, kann nachher 16 Wochen pausieren und Stillen, bevor man wieder einsteigt. Der Papa kriegt zwei Tage Vaterschaftsurlaub.)
Weil Arbeit definiert uns.
Zeit, mit allem klarzukommen ist nicht vorgesehen im Gesundheitssystem.
Und genau das wünsche ich mir. Die Krake werd ich wohl noch nicht so schnell vollständig los. Aber wenn sie nicht mehr dauernd mit mir am Tisch, an mir klebt, im Hirn sitzt, dann möchte ich flüchten, weg, um mich selbst (wieder) zu finden. Mitten im Leben.