Vom Nachfühlen

Es ist schon etwas ätzend, wenn man genau weiss, was jemand gerade durchmacht. Die Fragen, die Zweifel, das Verdrängen, das Abtauchen, die Angst, die Anteilnahme, die Lust nach Normalität.

Als meine Schwester ihre Diagnose kriegte, sagte sie zu mir: Ich weiss nicht, wie du das gemacht hast. Mit Kindern, deinem Ex, die Arbeit…. Ich bewundere dich dafür. Ich muss ja nur für mich schauen.

Das hat mich sehr berührt. So viel habe ich gehört, wie stark ich sei. So viel wirkte es wie eine Floskel. Auch weil ich mich ganz viel nicht stark, sondern verzweifelt, hoffnungslos, einsam, wertlos und als menschlicher Abfall fühlte: Das ist kaputt. Das kann weg. Aber von ihr wirkte es nicht wie eine Floskel. Ihr habe ich geglaubt.

Und als ich sie am Abend vor der ersten Chemo anrief, dann kannte ich ihre Fragen und Zweifel von mir: Was wird nun? Was geschieht mit meinem Körper? Kann ich noch arbeiten? Wer bin ich jetzt? Was bin ich?

Nicht die Krankheit. Das ist das Wichtigste. Nicht nur als Krankheit wahrgenommen werden.

Meine Schwiegermutter erzählte mir am Samstag, sie könne mir jetzt nachfühlen. Sie habe gedacht, sie hätte es schon gekonnt, als ich in der Akuttherapie war. Aber nun wisse sie, man kann es erst nachfühlen, wenn man in der gleichen Situation ist. Niemand weiss vorher, wie es wirklich ist.

Ja, Krebs ist kein Unfall und keine Grippe. Krebs zeigt einem unmissverständlich, dass das eigene Leben endlich ist. Das Freiheit, Gesundheit und Selbstverwirklichung Privilegien sind und keine Selbstverständlichkeit. Die Zeit schrumpft zum jetzt. Die Wahlmöglichkeiten werden weniger. Garantie für ein Happy End gibt es keine. Und wichtig sind die Liebsten und weiter nur wenig mehr.

Und ich denke, Stadium IV ist nochmal ein ganz anderes Kaliber, das ich hoffentlich nie kennen lerne. Ich würde mir nie erdreisten zu sagen: Ich weiss, wie du dich fühlst.

Bei gar nichts.

Zehnminütiges Fluchen

Meine Schwiegermutter war auch das Theater schauen. Eigentlich ist sie ja meine Ex, aber das finden wir beide doof: Ex-Schwieger-Mutter/Tochter.

Sie war beeindruckt von der Aufführung und erzählte mir, dass ihr Mann wahrscheinlich letzte Woche eine Streifung hatte und sie sich unsicher war, ob sie ihn wirklich allein lassen konnte.

Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm, aus Gründen. Aber mit der Schwiegermutter seit meiner Erkrankung wieder regelmässig, wenn auch meist nur telefonisch. Darum habe ich mich sehr gefreut, dass sie gekommen ist.

Letzte Woche fuhr der Papa meiner Jungs seinen Vater ins Spital zum MRI. Es gehe ihm viel schlechter. Das Alarmglockenspiel in meinem Kopf legte los. Streifung mit Verschlechterung nach zwei Wochen?

Tags darauf rief der Papa meiner Jungs an. Es war keine Streifung. Befund: Hirnmetastasen. Primärtumor noch unbekannt.

Zehnminütige-Fluchtirade meinerseits.

ICH WILL NICHT MEHR MIT MEINEN JUNGS ÜBER KREBS SPRECHEN MÜSSEN!!!! 🤬🤬🤬

Kurzes hysterisches Lachen

Ganze Generation weg: Zack!

Das war mein Gedanke, als ich die Nachricht meines Bruders las, er müsse ins MRI, evt. Biopsie.

Eigentlich hatte doch ich die Statistik abgedeckt!

Biopsie war schon. Befund kommt. Falls bösartig, so wohl gut behandelbar. Zum Glück ist Krebs nicht gleich Krebs.

Aber immer Scheisse!

Die Vase

Die App „Untire“ erklärt die Krebsfatigue mit einer Energie-Vase. Man sollte darauf achten, dass nicht mehr Energie rausgeht, als reinkommt.

Nur manchmal leckt die Vase, dann wirds schwierig. So ein Leck entstand durch den Tod der Mitspielerin. Ich war so neben der Spur…. unglaublich.

Nach der Abdankungsfeier am Montag merkte ich, dass sich das Leck schloss und meine Energie zurück kam. Für einen Tag.

Am Mittwoch Abend erfuhr ich von der Diagnose meiner Schwester. Erst war ich froh, ist es nicht Brustkrebs, so konnte ich es etwas von mir weghalten – bis zum ersten kinderfreien Sonntag.

Dass mein Onkologe bei der Erwähnung der Diagnose meinem Blick auswich und alle im medizinischen Umfeld bestürzt zu Boden blickten, half meiner Energievase auch nicht wirklich.

Ich habe meine Schwester in der Reha besucht, nach der Riesen-OP, bei der die Zysten, etwas Magen, etwas Bauchspeicheldrüse und Milz entfernt wurden. Altersdurchschnitt ca. 70 Jahre. Deprimierend!

Letzten Montag war ich mit ihr beim Onkologen. Ich habe ihr angeboten, dass ich mitkomme, wenn sie jemanden dabei haben möchte, dem nicht gleich das Gesicht ein Stockwerk runterfällt bei der Erwähnung von Krebs. Ich kenne mich eben auch erschreckend gut aus, stellte ich fest. All die Fachausdrücke und Abkürzungen, die für mich nicht mehr neu sind. Und ich hätte auch gerne jeweils jemanden dabei gehabt.

Sie sei ein Spezialfall. Frühstadium: R0, M0, N0, alles 0. Ein quasi-Zufallsbefund, alles entfernt und darum kurativ. (Ansonsten wäre die Prognose miserabel).

Was mir nicht bewusst war, dass mein Chemo-Schema offenbar als eines der schlimmsten gilt, unter den Onkologen. Meine Schwester wird sich wohl nicht für das volle Geschoss entscheiden. Der Wirkungs-Unterschied läge auch nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Chemostart: Dienstag.

Ich habe alles mitgeschrieben, Fragen gestellt. Der Onkologe war gut. Ruhig, beruhigend. Mein Leck schloss sich.

Die Wochen zwischen Diagnose und Gespräch war ich nicht fähig, was zu schreiben. Ihr Umgang mit der Krankheit ist ein ganz anderer. Aber unsere Art im Umgang mit Schwierigkeiten ist generell grundverschieden. Nun erfahre ich also auch noch, wie es ist, Angehörige zu sein. Und ein Gen-Test-Upgrade gibts gratis dazu.

Kommunikationsinkompetente Schildbürger

Etwas mehr Schlaf raubte mir das offizielle Behördenschreiben: Mein Parkplatz sei nie bewilligt worden und ab in 10 Tagen dürfe ich mein Auto nicht mehr dort (auf meinem Grundstück) parkieren. Weil neues Kehrichtauto, grösserer Radstand, Grundstücküberstreichungsrecht und sowieso.

Ich parke seit 14(!) Jahren auf diesem Stellplatz auf MEINEM Grundstück. Ich hatte das Haus inkl. Stellplatz gekauft (ohne natürlich die Baubewilligungen des Vor-vor-Besitzers von 1991 zu studieren). Und tja, Parkplätze gibts fast keine im Quartier. – Ausser den illegalen auf den Grundstücken vor den über 100jährigen Häusern.

Nachbar 1 hatte seinen Zaun zurückversetzt, um einen Parkplatz für Besucher (auf seinem Grundstück) zu haben. Ist auch schon mindestens 15 Jahre in Betrieb. Illegal.

Nun stellt die Gemeinde ein Parkverbot auf seinen Privatgrund. Nachbar 1 verstellt es. Nachbar 2 killt es, um vorbei fahren zu können. Und alles nur wegen Nachbar 3 – dem mittig wohnenden Gemeinderat – der keine Lust hat seinen Müllsack 50m weit zu tragen. Was einige Einwohner neuerdings müssen, da mit dem neuen Fahrzeug vor dem Kauf nie eine Probefahrt unternommen wurde und es kaum durchs Quartier kommt. Ein Behördengeniestreich!

Aber ist umwelfreundlich imfall. Das neue Auto. Erdgas. HAHAHA.

(Völlig deplatzierte Schadenfreude. Ich weiss)

Schild auf Privatgrund: Illegal.
Schild auf öffentlichem Grund: Legal.
Totes Schild: Womöglich illegal.

Intensiv habe ich mit Nachbar 1 und auch mit Nachbar 2 in Plänen geschwelgt, wie man illegale Parkplätze mittels Grossblumentöpfen, Liegestühlen und Monstergartenzwergen unüberstreichbar machen kann. Ganz legal. Dann aber von Kindergarten-Racheakten abgesehen. Passiert grad genug.

Das war vor 3 Wochen die völlig unnötige Kirsche auf dem Sahnehäubchen.

🧘‍♀️

PS: Es lässt mich nicht kalt, was da passiert in der Welt. Doch ich bin ehrlich gesagt froh, habe ich keinen Kontakt mehr zu meiner Gastfamilie in Odessa. Oder meiner besten Freundin aus dem Russischstudium, die mit einem Ukrainer verheiratet ist. Irgendwie komme ich momentan an meine Mit(ge)fühl-Grenzen.

Störrische Venen

Wenn der Angiologe von Rezidiv spricht, ist es nur halb so wild. Seltsam ist es trotzdem, dass eine rausoperierte Krampfader genau am gleichen Ort nachwachsen kann – und genau so krampfig!

Da die OP vor einigen Jahren an Skurrilität kaum zu übertreffen war (nachzulesen ab hier), entschloss ich mich für eine Sklerotherapie: einmal Spritzen, einmal Kontrolle und evt. Nachspritzen. Ambulant. Venen verklebt. Fertig.

Denkste.

1. Termin: Spritz. Sie machen das tapfer!

2. Termin: Wir müssen nachspritzen. Sie machen das tapfer!

3. Termin: Oh, da ist wieder was offen, ich hol mal meinen Chef. Die Vene will nicht! Dann direkt mit der Nadel. Sie machen das tapfer!

4. Termin: Chef steht schon da. Sie haben störrische Venen! Die ziehen sich zurück! (Kein Wunder, wurden auch schon x-mal traktiert. Meinen Adrenalinpegel und das Herzklopfen, das einsetzt, wenn die Nadelspitze näher als 30cm an meinen Körper kommt, überspiele ich souverän….) Sie machen das tapfer!

5. Termin: Oh! Da ging wohl etwas zu tief, in die tiefe Beinvene. Haben Sie Schmerzen? Nicht? Das könnte eine Thrombose geben. Das kontrollieren wir nochmal nächste Woche…

6. Termin: Nun ja, das tut mir furchtbar leid! Also diese Nebenwirkung kommt nur bei etwa 2% vor. (Und ich natürlich: 🙋‍♀️) Sie sollten Blutverdünner nehmen und Stützstrümpfe tragen für 6 Wochen. Das tut mir schrecklich leid. Dabei waren Sie immer so tapfer!

This is why I should never choose the easy way… 🤷‍♀️

Glücklicherweise habe ich gerade wenig Aufregkapazität. 🧘‍♀️

Letzter Vorhang

Ich könnte etwa 500 Seiten schreiben mit Updates. Soviel ist passiert, dass ich gar nicht zu Wort kam…

So beginne ich mit der leichten Kost: Theater. Der letzte Vorhang ist letzte Woche gefallen. Und wie!!!

Wir alle hatten Bammel vor der ersten Probe, vier waren geplant, keine verlief wie die Vorherige: Wie führt man ein Stück auf, das vor Lebenslust strotzt, wenn eine wegstirbt?

1. Probe: Wir lassen ihren Text nicht los, sprechen ihn und reichen uns ihr Textbuch weiter. Alle fühlen sich gut, sie ist noch bei uns.

2. Probe: Wir merken, dass die Lösung dramaturgisch nicht funktioniert. Das war ein Abschiednehmen das letzte Mal. Alle verzweifelt, aber mit grossem Vertrauen in die Regie.

3. Probe: Wir beginnen das Stück mit einer Hommage und einem Toast auf sie. Und spielen dann unser Stück.

Eine von 9 (!) Garderoben

4. Hauptprobe in einem Theater mit 500 Sitzplätzen. Zum Glück wird die Empore geschlossen sein…. Es sah nämlich bis vor kurzem nach 80 Leutchen aus. Wir schreien uns auf der Riesenbühne die Seele aus dem Leib (nur gefühlt). Eine Spielerin fehlt, ihre Mitbewohnerin hat Corona. Sie wartet auf ihr PCR-Ergebnis und die Regisseurin übernimmt ihren Part.

5. Aufführung vor über 200 Leuten. PCR negativ. Ein grandioses Publikum, dass trotz dem Toast zu Beginn lacht und klatscht und tobt.

Wir verabschieden uns kaum. Wir wollen nicht loslassen. Es soll nicht die letzte Vorstellung gewesen sein. Wir lassen nicht los.

Die Krankheit lässt uns ja auch nicht wieder los.

Diesen Tumor dürften über 1000 Menschen gesehen haben.