Krieg und rosa Zuckerguss

Spannend wie ein Krimi. Einmal durch die ganze Geschichte von der ersten Erwähnung der Krankheit bis zu den zielgerichteten Therapien im neuen Jahrtausend.

Ernüchternd, wie viele Behandlungsoptionen per Zufall entdeckt wurden. Try and Error am lebenden Objekt. Sei es mittels radikaler Mastektomie (Brust weg, Brustmuskel weg, Brustbein weg, alle Lymphknoten weg) oder in den 80ern mit dem Motto „Möglichst viel Chemie reinpumpen.“ Um Krebs zu besiegen, müsse man den Kranken halt an den Rand des Todes bringen.

Beeindruckend, was von den Vorstellungen noch heute rumgeistert. Von der schwarzen Galle, dem Patienten, der selber Schuld an der Erkrankung ist. Oder die ganze Kriegsmetaphorik, die ursprünglich von Lobbyisten in Amerika genutzt wurde, die nach der Mondlandung (alles ist möglich, auch Heilung bei Krebs), Forschungsgelder auftreiben wollten. Damals war es aber der Kampf der Forscher und Ärzte gegen den Krebs. Und irgendwann hat sich das verschoben. Heute kämpft der Patient gegen den Krebs. Oder verliert den Kampf gegen ihn.
Warum sagt keiner, die Onkologen, Chirurgen, Radiologen haben den Kampf verloren? Wann geschah die Schuldverschiebung?

Mir gefiel die Kampfrethorik nie. Obwohl auch ich im Kampsaumodus war während der Akuttherapie. Da hat nicht viel Trauer oder Verzweiflung platz. Es gibt kein Innehalten, weil es von Termin zu Termin, von Behandlung zu Behandlung geht.
Und nachher ist da diese Ratlosigkeit: Wer bin ich denn jetzt? Was kann ich noch? Was will ich? Und kommt er zurück oder bleibe ich verschont?

Und auch ich überlege mir immer, soll ich nun einen so deprimierenden Eintrag (wie gestern) verfassen? Soll ich ihn etwas abschwächen und besser verdaubar machen? Weil ich hab den Krebs ja „besiegt“. Hurra und Traraa!
All die Yoga-Meditations-Inspirations-Instafrauen machen mich misstrauisch. Rosazuckerguss ist auch ein Verdrängungsmechanismus. Und doch möcht ich manchmal auch rosa Zuckerguss drauftun!

Aber Krebs ist halt nicht einfach weg. Der kommt nicht und geht wieder. Der bleibt irgendwo, als Thema, Nebenwirkung, Erschöpfung, Unfruchtbarkeit. Manchmal tritt er in den Hintergrund und klopft erst bei der Dreimonatskontrolle an: Hallo? Vergiss mich nicht.
Es ist ein neues Leben. Kein schlechtes, aber im Moment ein kompliziertes.

Nach der Lektüre dieses Buches bin ich einfach unheimlich froh, heute und hier zu leben.

Endlich!

Manchmal hilft es, unterm Sternenhimmel zu schlafen!

Und ich bin immer wieder erstaunt, wie glücklich mich das macht. Ich scheine relativ simpel zu sein..

Aber etwas vestehe ich nicht…🤔 Als ich am Morgen aufwachte, war es laut App -0°.
Minus-Null?
Kann mir das wer erklären??? Mein Mathehirn kapiert das nicht…

PS: Bitte nicht meinem Kleinen verraten. Der fragt mich dauernd, wann er wieder draussen schlafen darf…. Und ich als Mamma denke, es ist noch zu frisch!

Das Aufwachkonzert:

Hilfe in depressiven Phasen

Lego bauen

Das Einzige im Leben, bei dem alle Teile passen und alles nach Plan aufgeht.

Britische Kochshows gucken

Das ist ja an sich schon skurril. Und dennoch, die Zutaten haben immer die richtige Menge, Kuchen gehen auf, das Fleisch ist zart und die Kruste knusprig.
Alles geht leicht von der Hand!
Zumindest beim Zuschauen.

Rosamunde Pilcher

Nein. So schlimm ist es noch nicht!

Schamgrenzensenkung und Leben lernen

Schwimmen ist das Beste!
Nach dem unglaublich strengen Tag gestern habe ich mich heute doch noch aufgerafft. Und jedesmal mache ich ein Foto. Das Bikini-Oberteil nehme ich nur noch pro forma mit, falls auch wer anders da sein sollte, an meinem Platz. Weil, ich habe ein Lymphödem in der Brust und ohne Oberteil, hilft es besser.
Und oben ohne Schwimmen ist toll!
Ausserdem, nun. Die Schamgrenze ist massiv gesunken. Wenn man dauernd vor Heerscharen von Medizinpersonal topless sitzt, steht, liegt. Abgetastet, vermessen, untersucht wird.
Meine Physiotherapeutin fragte mich, als sie kurz das Behandlungszimmer verliess, ob ich ein Tüchlein wolle.
Wozu?
Für die Brust.
Ich hätte nicht kalt.
Um mich zu bedecken.
Das fand ich schon fast witzig. In der Radiologie liessen sie mich topless den Flur runter spazieren, am Kontrollterminal vorbei und dann rauf auf die Liege. An etwa 5 Leuten vorbei, Männern wie Frauen. Dann drapierten sie mich wie ein Stück Fleisch.
Und mit der Physiotherapeutin, bzw. alleine im Zimmer. Echt? Bedecken?
Damit der Schrank nicht errötet? 😂😂

Ich habe gelesen, dass es Frauen mit Krebs unter der Gürtellinie ähnlich geht. Irgendwann ist es fast schon egal, die Hose runter zu lassen.
Ist wie mit der Sauna. Wenn man regelmässig geht, ist einem das unter die Achsel geklemmte Tuch irgendwann zu heiss.

Von der Physio bin ich direkt an den Fluss. Leider hatte ich das Badezeug vergessen. Und ganz nackt, das ist tatsächlich ungewohnter. Finde ich bei den Wassertemperaturen ehrlich gesagt auch nicht so angenehm. Wie wenn die Badehose isolieren würde, damit einem die Schamlippen nicht abfrieren. Jedenfalls bin ich ganz nackt schneller im Badetuch als topless.
Glücklicherweise sind die Handykameras noch nicht so gut. Und der Mann, der am anderen Ufer erst nur die Füsse tauchte, dann, als er sah, dass ich meine Runden schwimme, seine Hosen auszog und mit seinen Boxern einen Versuch startete, konnte eh nicht so viel sehen oder blöder noch, festhalten.
Es war ihm zu kalt. Und als ich zum zweiten Mal reingesprungen war und Richtung Flussmitte geschwommen, bis die Strömung zu stark wurde, um die Position zu halten, war er noch immer nicht weiter als bis über die Knie gekommen.
Für mich ist es bereits warm.
Im Vergleich zu den 8° Grad von Ostern.
(Als notabene mein Kleiner auch drin war…)
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Ich mache am Fluss Ferien!
Mit dem Fahrrad und der Hängematte. Und dann schwimme ich mir das Scheiss-Lymphödem weg!
Frei schwimmen, frei tanzen.
Hauptsache frei.
Nicht mehr nur mich durchhangeln und versuchen zu überleben, Moral zu behalten und nicht abzustürzen.
Auftanken, gesunden. Gute Erlebnisse sammeln, Erinnerungen.
Und wieder leben lernen.
Das ist gar nicht so einfach.
Und niemand bereitet einem darauf vor…

Dolly und Shakira

Nach der Behandlung ist in der Behandlung, hört das mal irgendwann auf, dass der eigene Körper die reinste Baustelle ist?

Da sitze ich wieder mal barbusig im Spital, vor mir die Physiotherapeutin, die andächtig meinen Busen mustert: Sehr schön! Wirklich sehr schön gemacht!
In einem anderen Kontext könnten Busenkomplimente ja durchaus reizvoll sein, das Spital glänzt da eher durch Skurrilität.
Heute werden ja den Frauen nicht per se alle Lymphknoten entfernt. Das minimiert die Chance für ein Lymphödem am Arm, nicht aber für eins an der Brust.
Meine Linke hat also momentan ein bis zwei Körbchen Vorsprung auf die Rechte.
Meine Lymphdrainagespezialistin soll mich nun von Schmerzen und Ballast befreien und massiert und gibt Tipps.
Ich solle mir doch den linken BH austopfen, weil Kompression kann helfen. Sie gibt mir was zum Zuschneiden für zu Hause.
Ich schneide, ich stopfe.
Oh, aber hallo. Links Dolly und rechts Shakira?

Have a click:
Dolly und Shakira

Also nein! 🙈

Chemo in Zeiten von Corona

Vor dem Eingang aufs Spitalgelände werde ich angehalten von einem Mann in Leuchtstreifenkleidung mit Schutzmaske. Ob ich im Spital arbeiten würde?
Danke für die Frage, liegt wohl am Skateboard. Nein, ich habe einen Termin.
Ob ich den Fieber oder Husten hätte?
Nein, sonst würde ich nicht kommen.
Er lässt mich passieren, vorbei am neu aufgestellten Zeltbüro neben der Autoschranke. Alle auf dem Gelände tragen Masken.
Vor der Frauenklinik eine Frau mit Leuchtstreifenkleidung und Maske, stellt sich mir in den Weg. Wir müssten uns draussen unterhalten. Ob ich zu Besuch käme. Nein, ich habe einen Termin.
Meinen Namen will sie wissen und blättert sich durch 5 Blätter, bis sie mich findet.
Dann winkt sie mich durch. Ich darf passieren.
In dieser apokalyptischen Netflix-Serie wollte ich eigentlich nicht landen. 🙈🙈

Die Chemo-Sitze sind nicht weiter auseinander als sonst. Alle tragen Schutzmasken, klar. Sonst ist alles wie immer, ausser das sich plötzlich nicht nur die Patienten sorgen.
Aber meine Blutwerte sind top, sagt mein Onkokomiker.
Und – das trage ich noch auf der Tippliste ein – ich trinke jetzt Schweppes gegen die Muskelkrämpfe.

Guru guru, Blut ist im…

Reis.

Ich weiss, das reimt sich schlecht.
Gestern war ich mit dem Grossen zu Mittag essen im rentnerüberfüllten Restaurant des Supermarkts.
Plötzlich meinte er: Mami, du hast da Blut!
Nasenbluten, okay. Hatte ich schon die Tage zuvor, kann auch eine Nebenwirkung sein.
Also Taschentuch an die Nase, dann Serviette.
Kurz hörte es auf und ich konnte essen.
Grosser: Mami, du blutest wieder.
Ich: Ok, das ess ich jetzt nicht mehr. Blutreis.
Grosser: Könnte auch Chilisauce sein?
Da schenkte mir die Sitznachbarin eine Packung Taschentücher. Eine volle.

Eine halbe Stunde und vier Taschentücher später stellt mir eine Rentnerin ein Gläschen mit blutstillender Watte auf den Tisch. Ich stopfe mir ein Bäuschchen in die Nase.
Mir war übel, mir war schwindlig und ich ekelte mich vor mir selber.
Wie konnten die nur alle weiter essen, während ich 45 Minuten vor mich hin blutete und meinen Sohn zum essen antrieb? (Aussichtslos übrigens, er lebt in seiner eigenen Zeit. Deshalb kollidieren wir hin und wieder.)

Ich rief im Spital an und erreichte niemanden. Aber da es auf meinem Heimweg liegt, klammerte ich mich an mein Fahrrad und schlurfte vorbei. Im Spitalpark getraute ich mir auch die durchgeblutete Watte aus der Nase zu ziehen, spuckte einen Schleim-Blut-Klumpen ins Gebüsch. Das Nasenbluten war vorbei.

Auf der Station wollten sie mich in den Notfall schicken, fürs Blutbild. Ich wollte nicht. Notfall heisst immer 2h Wartezeit, ausser man hat ein Chemo-Fieber-VIP-Ticket.
Also entnahmen mir sie dort Blut und ich döste auf einem Chemostuhl vor mich hin.

Alle Werte waren gut. Vielleicht die Luft, die Kälte, der kumulierte Stress, der auch meine Lieder und Wangen zucken lässt und sich manchmal als Tinitus bemerkbar macht.
Who knows! 🤷‍♀️
Nächstes mal müsse ich in den Notfall, die hätten auch einen HNO dort.
Ok.
Die Blutstillende Watte hab ich mir auch gleich besorgt, die gehört ab sofort in die Handtasche!

Fachchinesisch: Diagnosekürzel übersetzt

Ich bin ein paar Mal gefragt worden, in welchem Stadium
ich denn sei. Ich wusste es nicht, wollte es nie wissen.
Einzig das es das 4. nicht sein kann, da ich kurativ und nicht palliativ behandelt werde: Ziel ist krebsfrei werden und nicht Erhaltungstherapie.
Doch als dann auf dem Medizettel der Chemo stand: metastasiertes Mammakarzinom, hab ich schon leer geschluckt und gedacht, warum sagt mir das keiner. Aber das war die Bezeichnung des Chemo-Schemas, nicht meine Diagnose!

Krebsstadien gibt es 1-4, wobei 1 ein kleiner, lokaler Tumor und 4 metastasiert und unheilbar ist. Dazwischen gibt es verschiedene Kombinationen.
Meine vollständige Diagnose bekam ich beim Austritt aus dem Notfall, liest sich wie eine chemische Formel, hier nicht meine Diagnose als Beispiel:
Mammakarzinom rechts
cT1 cN1 cM0 G2, PR+(9/12), ER-(0/12), HER2positiv, Ki67 55%, ED11/19

Hier unten ein Einstieg ins Decodieren der Diagnose.
Ansonsten diesen Link benutzen.