Unendlich müde

Bin ich und dankbar.

Genau vor einer Woche telefonierte ich lange mit dem besten Freund meiner Schwester und wir machten uns grosse Sorgen um sie. Wir wussten beide, dass es zu Ende geht und sprachen es zum erstem Mal aus.

Die letzte Woche war ein Höllenritt. Sterben ist wirklich nichts für Anfänger. Und doch bin ich dankbar.

Dankbar für ihren besten Freund, ihre beste Freundin, ihren Partner, die auch meine Freunde sind. Dankbar dafür, dass wir uns stützten, hielten und zusammen heulten. Dafür, dass wir zusammen meine Schwester begleiteten, soweit wir konnten.

Dankbar für meine Freunde, mein grossartiges Arbeitsumfeld. So viele gute Menschen. Noch nie fühlte ich mich so getragen in der Katastrophe. So wenig allein.

Dankbar aber auch, dass die gelben Spitalflure morgen nicht auf mich warten und ich mit meinen Jungs Pizza essen kann.

Dankbar für meine Familie.

Ich bin dankbar, dass meine Schwester gestern Abend einschlafen durfte.

Grosse Schwester, du fehlst. Du wirst mir noch mehr fehlen, wenn dieses Fischglasgefühl vorbei gehen wird, dass weiss ich. Immer wieder. In grossen und kleinen Momenten. Und ich werde wütend sein, auf dich, auf den Krebs. Verzweifelt und überfordert.

Aber genau jetzt in diesem Moment bin ich einfach nur unendlich müde und dankbar.

Was nicht gesagt wird

Meine grandiosfantastischen Ferien fühlen sich nun leider schon Lichtjahre entfernt an.
Der Schulstart war anstrengend, auch wenn mein Sohn sehr gut im Gymnasium gestartet ist. Eine Mail eine Woche des Schulstarts erreichte mich vom Prorektor und trieb mir gleich die Tränen in die die Augen, als ich las, dass er sich erkundigte, ob mein Sohn die Schule im Vorfeld schon anschauen wolle. Endlich eine Bildungsinstitution die eine Ahnung von Asperger hat und genau weiss, wo die Probleme liegen!

Das Klassenlager beamte mich dann subtio in einen Erschöpfungszustand. Da sind zwei Wochen auf dem Rad nichts gegen ein Zeltlager mit unabgestimmtem Leitungsteam. Und als ich mich langsam wieder so fatigue-technisch erholt hatte, meldete sich meine Schwester, sie müsse ins MRI wegen ihrer akuten Erschöpfung. Worauf meine Mutter im Familienchat schrieb: „Oh. Zurück auf Feld eins? Brauchst du wieder Chemo?“ Manchmal bin ich echt tierisch froh, kein Kind mehr zu sein und dort leben zu müssen.

Das MRI wurde dann gestrichen und das normale PET CT zum Abschluss ihrer Chemo gemacht. Tatsächlich war der Befund nicht toll. O-Ton Onkologe: „Ergebnis nicht so prickelnd“ Offenbar etwas auf der Leber.
Meinen inneren Film muss ich wohl nicht beschreiben. Ich glaubte jedenfalls nicht an die Möglichkeit eines Abszesses.

Erst Biopsie und dann hatte die Pathologie Mühe, herauszufinden, was es genau sei. Jedenfalls nicht das Gleiche wie zuvor.

Ich hatte am Gesprächstermin mit dem Onkologen schulfrei und begleitete sie. Weil „etwas auf der Leber“ nach Abschluss einer Chemo, da sollte niemand alleine zu so einem Gespräch.

Ihr Tumor hat nicht gestreut. Sie hat einen zweiten Tumor, einen seltenen, Neuroendokrinen. Häufigkeit 1:50’000. Wer glaubt den sowas? Wir waren wie betäubt, aber retteten uns in unseren schwarzen Humor. Die Histologie war noch nicht abgeschlossen und es musste noch rausgefunden werden, ob die sehr gute verträgliche, zielgerichtete Therapie angewendet werden kann, also ob die entsprechenden Rezeptoren vorhanden sind. Der Onkologe war aber zuversichtlich und so waren wir es auch.

Was nicht gesagt wurde: Es sind Metastasen in der Leber.
Was nicht gesagt wurde: Die Zielgerichtete Medikation ist unsere beste Option.
Was nicht gesagt wurde: Die Metastasen sind inoperabel.

Was ich nicht gefragt habe: Sind es Metastasen? Was passiert, wenn die Rezeptoren nicht vorhanden sind?

Am Abend des Gesprächs ging sie an einen Geburtstag. Und ich traf am Wochenende alle, die mir wichtig sind im Leben: Freunde von früher, die Skater hier in der Stadt, meine Brustkrebsfrauen und meine Queers. Und dann ging sie eine Woche in die Ferien und ich mit meinen Jungs.

Und ich stellte mir vor, wie sie es noch geniessen kann. Wandern, Sonne, Berge.

Als sie zurück war, kam der Bescheid, dass die gewünschten Rezeptoren nicht vorhanden sind. Wir telefonierten und leider hatte sie keine guten Ferien. Ihr Partner war krank und hustete und sie konnte kaum schlafen. Ich fragte sie, warum sie sich nicht ein zweites Zimmer genommen hätten. Sie meinte, das kostet. Und ich dachte, na und? (Ich meine, na und? Jetzt? In diesem Zustand? Hallo?). Dann erzählte sie mir von der Beule an ihrem Bauch und mir wurde schlecht.

Ich begleitete sie wieder, weil sie sonst alleine zum Gespräch hätte gehen müssen. Und weil ich das auch musste und das niemand müssen sollte. Und auch für mich, weil ich wissen wollte, was los ist. Ihr Onkologe war in den Ferien und die Vertretung sagte viel mehr, wenn auch vieles zwischen den Zeilen.

Meine Schwester warnte mich vor, sie habe ein vom Kortison aufgeschwollenes Gesicht, ich solle nicht erschrecken. Davon erschrak ich nicht, aber sie konnte kaum gehen. War ausser Atem und hatte Schmerzen. Ich versuchte, davon nicht zu erschrecken.

Was gesagt wurde: Erneut Tablettenchemo. Der Tumor sei ja nach der Chemo aufgetreten, also nütze die. Zusammen mit einer anderen per Infusion. Der Tumor sei schon gross.

Da schluckte meine Schwester und ihr wurde erstmals bewusst, dass es nicht gut ist. Nicht einfach Chemo und weg.
Sie fragte, wie viele Zyklen Chemo sie jetzt bekäme. Die Onkologin schaute abschätzend zu mir, zu ihr. Sagte, erstmal zwei, dann gebe es wieder ein Bild.

Nach einer weiteren Bildgebung warteten wir lange auf das zweite Gespräch. Meine Schwester meinte, jetzt müsse sie wohl wirklich das Testament schreiben. Ich sagte nichts darauf. Keine Witze mehr. Und sie meinte, sie hätte doch noch ihre Wohnung dekorieren wollen und nun wisse sie nicht mal, ob sie noch so lange lebe. Ich sagte ihr, dass sie jetzt noch lebe. Und jetzt dekorieren kann.

Als das Gespräch endlich stattfand, kollabierte meine Schwester fast und musste sich leichenblass hinlegen. Auf dem Bild sah man, dass der Tumor bereits in die Lunge drückt. Die Onkologie fragte, ob sie stationär bleiben wolle. Meine Schwester lehnte ab, was ich verstehe.

Ich erkundigte mich nach dem Ki-67 Wert und dachte, das kann doch nicht sein, dass ein Tumor mit so einem niedrigen Wert innerhalb von vier Wochen auf diese Grösse anwächst? Das kann nicht sein, dass die Chemo wirklich das Wachstum verhinderte?

Ich fragte nach dem Primärtumor, da inzwischen das Wort Metastasen gefallen war. Der ist unbekannt.

Was nicht gesagt wurde: Wir haben keine spezifische Therapie, sondern müssen ausprobieren.
Was nicht gesagt wurde: Sie bekommen so lange Chemotherapie, wie es wirkt.
Was nicht gesagt wurde: Wir sollten möglichst schnell mit der Chemo beginnen, sonst fällt diese Option aus.
Was nicht gesagt wurde: Sagen sie ihrem Partner, er soll in die Schweiz kommen und sie unterstützen.
Was nicht gesagt wurde: Sie können nicht mehr arbeiten.
Was nicht gesagt wurde: Wir müssen schauen, wie lange sie noch in ihrer Wohnung klar kommen.
Was nicht gesagt wurde: Geniessen sie ihr Leben. Überlegen sie, Was ihnen jetzt noch wichtig ist.

Was gesagt wurde: Wir versuchen ihn, äh, .. in Schach zu halten…
Was gesagt wurde: Die Blutwerte sind nicht so gut, überlegen sie sich, wann sie mit der Chemo beginnen wollen…
Was gesagt wurde: Ah, ihr Partner lebt nicht mit ihnen zusammen…? Plant er…..?
Was gesagt wurde: Sie leben im dritten Stock? Ohne Lift….?
Was gesagt wurde: Sie können das Arbeiten ja im Hinterkopf behalten….. als Perspektive.

Was ich nicht gefragt habe: Wie ein Tumor mit so einem Wachstumsfaktor so schnell wachsen kann.
Was ich nicht gefragt habe: Wie viel Zeit bleibt.
Was ich nicht gefragt habe: Wo ist die Palliative Care?

Was ich stattdessen gesagt habe: Können sie meiner Schwester etwas gegen die Schmerzen geben? Es reicht nicht!
Was ich stattdessen gesagt habe: Was können sie ihr zum Schlafen geben, falls die sezierende Wirkung des Schmerzmedikaments nicht ausreicht?

Wir hatten ausgemacht, dass ich die Fragen stelle, die sie zu stellen vergisst. Aber ich kann doch keine Fragen stellen, die ihr das Ausmass der ganzen Scheisse vor die Augen führen? Das darf ich doch nicht. Oder die nur meine Neugier befriedigen?

Ich fand es schon bei ihrer erst Diagnose schwierig, wie anders sie damit umging. Ich halte in der Katastrophe immer die Augen offen. Aber das machen ja viele nicht. Und sie sagte immer: Er ist ja rausoperiert, ich mache nur noch zur Sicherheit eine Chemo. Ich bin ja krebsfrei. Dass kurativ häufig von einer Lebenserwartung von fünf Jahren ausgeht, nicht von vierzig und Bauchspeicheldrüsenkrebs ein Arschloch ist, davon war nie die Rede.
Und nun kommt noch eine zweite Diagnose. Und kein Mensch spricht von Metastasen, von geniessen sie alles, was sie noch können. Das macht mich so wütend! Und als ich erfahren habe, dass ihr Partner mit der Bahn nur anderthalb Stunden Weg hat, wurde ich nochmals wütend. Warum ist er nicht hier? Warum nimmt er sich nicht frei und ist hier und steht ihr bei? LkehfjkSHÖTKAHERUKHEFG!!!!
Weil alle so tun, als werde alles wieder gut? Nein, wird es manchmal nicht. Weil Krebs ein Arschloch ist.
Und wenn doch, umso besser!
Es ist nicht meine Aufgabe, ihm das zu sagen. Und dann die zu sein, die alle Hoffnung totschlägt und sie quasi aufgibt. Warum können wir nicht einfach über das Sterben sprechen? Die Zeit, die uns bleibt. Und so auch über das Leben. Das nunmal endlich ist.
Es wäre doch so wichtig.

Die erste Chemo vertrug sie gut und offenbar sprach der Tastbefund der Onkologie für ein Ansprechen auf die Therapie. Sie sagte mir auch, sie habe sich neue NAchtischlämpchen gekauft. (Sie hört auf ihre kleine Schwester 🙂 )

Vorgestern schickte mir meine Schwester Bilder von Blutbeuteln, sie sei zur Vampirin mutiert. Die schlechten Blutwerte verlangten zwei Bluttransfusionen.
Abends kam die Nachricht sie sei im Notfall. Verdacht auf Lungenembolie, sie müsse ins CT.
Gestern die Entwarnung. Keine Embolie, aber der Tumor sei gewachsen.

Heute habe ich mit ihr telefoniert. Sie ist sehr erschöpft. Sie meinte, sie könne vielleicht heute heim. Bekomme aber evt. noch eine Bluttransfusion. Und sie habe überall Wasser eingelagert, in den Beinen, im Bauch. Sie werde halt in Socken rausgehen und sich ein Taxi nehmen, wenn sie nicht in ihre Schuhe reinkomme.

Und irgendwie klang es nicht mehr so nach Witz. Sie klang anders, vielleicht auch einfach die Erschöpfung. Ist es realistisch, dass sie so heim kann, frage ich mich.
Ich fragte mich dieses Jahr schon öfters (auch beim Großvater meiner Jungs), ob ich quasi geschädigt und pessimistisch bin oder doch realistisch?
Versteht sie ihre Situation? Was versteht überhaupt jemand von meiner Familie, in der man eh nie etwas direkt anspricht und ausspricht? Warum kann ich das nicht auch? So wie mein Bruder? Der von meiner Krebserkrankung als „medizinischer Sabbatical“ und einer „Episode“ sprach, die ja nun vorbei sei. Und der bei meiner Schwester meinte:“Ah gut. Dann kriegst du ja Chemo.“ Und vorgestern: „Gehört die Bluttransfusion zur Therapie?“

Ich habe Angst. Und ich bin wütend. Und ich bin traurig. Und wütend. Und hilflos.

Was ich ihr nicht sage: Ich habe Angst vor Weihnachten, falls du dann nicht mehr da bist.
Was ich ihr nicht sage: Was mache ich ohne dich?
Was ich ihr nicht sage: Wer ist dann meine Klagemauer, wenn du nicht mehr da bist? Meine nervige Schwester, die mir so unähnlich ist und mit der ich dennoch so viel teile?

Relax

Ich hatte soviel vor das Wochenende. Hätte soviel machen können. Aber dann sagte ich alles ab, lud mich aus, Türe zu.

Ich bekochte mich himmlisch, las, schwamm und hängte in der Matte. Manchmal tut social-detox soooo gut!! Auch zum mal alles sacken lassen. The Good, the Bad and the Ugly.

Besonders nach definitiv zu viel Party-Festival-Besuch-Treffen-Verabredungen und Spontanbesuchen. Ganz zu schweigen von Schulreise und Schulhausfest. Wo mir wieder mal gesagt wurde, wie froh man ist, mich im Team zu haben. Noch nie wurde mir bei der Arbeit so viel positive Rückmeldung gegeben. Das ist echt toll!

Und ich bin stolz wie Bolle auf meine Jungs.

Der Grosse hat diese Woche Abschlussfeier. Als Abschlussprojekt bastelte er einen CO2-Feinstaubmesser, designte und druckte auf dem 3d-Drucker das Gehäuse und programmierte die Webseite, auf der die Messungen angezeigt werden. Die obligatorische Schule wäre für ihn jetzt dann beendet. Nach dem Sommer wechselt er aufs Gymnasium.

Der Kleine durfte letzte Woche alleine feiern gehen, Luna Park (der Grosse genoss die Ruhe allein zu Hause). Ich schwanke auch im Nachhinein noch zwischen stolz und schlechtem Gewissen. Ich hatte nämlich eine Verabredung und war weg.

Also ging der Kleine allein. Rief mich wie ausgemacht gegen Abend an und ging nochmals hin. Erlaubnis hatte er bis 20:00 Uhr: Aber Mamiiii, alle anderen dürfen bis 22:30!!!

Also sagte ich, wenn du eine Mutter findest, die mich um 20:00 Uhr anruft, darfst du länger bleiben, denn dann weiss ich, mit wem von deinen Jungs du unterwegs bist.

Um 20:20 Uhr rief mich eine Mutter an. Also er, von ihrem Handy.

Gegen 22:00 Uhr wollte ich ihn abholen und dachte: Shit! Ist das dunkel! Ich kreiste um die Foodstände, die Bahnen…Und fand ihn nicht. Vor dem inneren Auge spielten sich – als ich auch die andere Mutter nicht erreichte – sämtliche Horrorszenarien ab, die man sich vorstellen kann. Bis sie mich endlich zurückrief und ich mich zu ihr setzte. Also vor einer Stunde hätte sie sie gesehen, lebend. Aber zuvor sei es ihr genau gleich ergangen, wie mir.

„Ich meine, das beginnt ja schon mit dem Kindergarten- oder Schulweg. Eigentlich können sie den alleine gehen. Aber diese Entscheidung, sie nun allein loszuschicken. Was, wenn ich ihn alleine gehen lasse und genau dann ein Auto… Das ist manchmal wie eine Zwangsabnabelung. Denn das Auto könnte auch kommen, wenn ich mich bloss umdrehe.“

Das sagte ich zu der anderen Mutter. Worauf sich eine dritte einschaltete: Genau so! Genau so ist es! Das kenne ich auch nur zu gut!

So gegen 22:45 Uhr spazierte ich mit einem dauerquasselnden Kleinen nach Hause. Er leuchtete förmlich, so voll von Glück war er. Und er erzählte mir alles haarklein. Jeden absichtlichen Auffahrunfall mit dem Autoscooter. Wie er ein Teil seines Geldes verlor und nach Hause ging, um sein Taschengeld zu holen. Was er gegessen und wie sie sich untereinander eingeladen haben.

Ich: Ach Kleiner, ich bin sooo stolz auf dich! Du hast dich an alle Abmachungen gehalten. Es hat super geklappt!

Kleiner: Ach Mami! Was denkst du denn? Ich kann das! Das weisst du doch! Du kannst mir vertrauen!

Jeder durfte das machen, was er am liebsten wollte: Happy Family. 🙂

Von Mutanten und Kanülen

Ich hatte ja ein Rendez-Vous mit meinem Onkologen und meiner Schwester, wegen der genetischen Testung.

Er warnte uns vor, dass das ganze mehrere Wochen dauern könnte, weil die Krankenkasse erst bewilligen müsse.

Netterweise erfuhr ich auch, dass ich eventuell doch nicht postmenopausal bin und bekam zum Abschied eine Riesenkanüle mit einem Zoladex-Depot in den Bauch gerammt.

Nach sechs Tagen hatte ich schon die Kostengutsprache! Noch nie ging das so schnell.

Bei meiner Schwester wurde die Testung abgelehnt. Also nochmal zum Verständnis: Es gibt bei Brust- und Bauchspeicheldrüsenkrebs einen möglichen Zusammenhang mit einer BRCA2-Mutation. Aber nur die Brustkrebspatientin kriegt den Gentest? Warum? Weil Bauchspeicheldrüsenkrebs meist erst im Stadium IV entdeckt wird und die Leute eh nach ein paar Monaten tot sind? 🫣 Und im seltenen Fall wo die Patientin im Stadium I ist? R0, M0, V0, N0, alles null und kurativ? 🤷‍♀️

Anyway. Zoladex killte meine Libido, meine Lebensfreude, meinen Appetit und meinen Schlaf. Worauf ich mit dem Onkologen aushandelte, wir glauben jetzt für den nächsten Monat den beiden Werten, die für postmenopausal sprechen und lassen meinen Bauch in Ruhe und mich mein Leben geniessen.

Denn echt keine Lust, mir eventuell Lebenszeit zu erkaufen, wenn ich mich dann wie ein welkes Herbstblatt fühle. Auf dem nassen Asphalt. Kurz bevor ein Traktor auf dem Rückweg vom Güllen über mich wegrollt.

Und das Gute noch zum Schluss: Ich bin kein Mutant!

Das heisst, keine Gen-Aufgälligkeit gefunden, keine medizinischen Interventionen, Operationen müssen ins Auge gefasst werden. Meine Brüste und Eierstöcke bleiben vorerst bei mir.

Juhuuu! 🥳🥳

Bäääh

Ich hatte eine akute Einsamkeits-Weltschmerz-Krise. So richtig Bäääh!

Erst vermisste ich meinen Ex. Das kam schon länger nicht mehr vor, aber seit ich ihn aus Selbstschutz komplett aus unserem Leben sperren musste, begann ich mich langsam auch wieder an die guten Zeiten zu erinnern, die wir zusammen hatten. Die Zeiten der Intimität und des Abenteuers.

Also eigentlich vermisste ich nur die guten Seiten, dass da jemand ist, der mich in und auswendig kennt. Der mir das Gefühl gibt, gesehen zu werden.

Dann vermisste ich mein altes Kollegium. Obwohl es das in dieser Art nicht mehr gibt. Bis mir auffiel, dass ich schlicht mein altes Leben vermisse.

Jedes Jahr werde ich vor den Sommerferien ganz melancholisch und dünnhäutig und möchte eigentlich nur in den Arm genommen werden. Beim Schulschluss-Feuerwerk weinte ich regelmässig. Wünschte mir meinen Ex an meine Seite.

Und nun ist es wieder, wie im alten Leben: Zum ersten Mal arbeite ich wieder mein Pensum, habe eine eigene Klasse und sehe sogar wieder wie vorher aus (plus Narbe und Tattoos).

Ich bin offenbar in ein Zeitloch gefallen. Und es war nicht gemütlich dort unten. Gar nicht. Und das rauskraxeln war sehr anstrengend. Wieso vermisst man was, dass man so gar nicht mehr zurück will? Voll ätzend!

Diese krassen Weltschmerz-Liebeskummer-Tiefschläge sind bestimmt auch der Fatigue geschuldet. Denn sie überkommen mich in dieser Heftigkeit nur, wenn ich zu viel um die Ohren hatte. So als Instant-Depression.

Und da nun sehr viele (Schul-)Anlässe, Parties und Feiern anstanden und anstehen, muss ich mehr raus in den Wald, um Kraft tanken zu können.

Also merke: Wenn ich am Sonntag oder Montag meine Abstinenz mit einer Flasche Wodka beenden möchte – erst hier nachlesen. Bäume umarmen. Tee trinken. 🙂

Heute

Heute vor drei Jahren hatte ich meine erste Chemo.

Heute vor zwei Wochen bewilligte die Krankenkasse die Kostengutsprache für die genetische Testung.

Heute startet meine Schwester in den 3. Chemo-Zyklus.

Heute vor 222 Tagen beschloss ich, keinen Alkohol mehr zu trinken.

Heute vor einem Tag starb der Grosspapa meiner Jungs.

Heute vor einem Tag erfuhr ich: MRI sauber! Ich bin ich 2 Jahre krebsfrei! 😅

Heute bin ich müde und muss früh ins Bett. 🙃

Viel los viel müde

Die Konfirmation des Grossen war super. Alle sind gekommen: die Kranken, die Gesunden, die Halbgesunden.

Zum Auftakt hustete die Pfarrerin ins Mikro – ganz Coronakonform – und da die Kirchgänger nicht verstummten, stimmte der Orgelspieler einen dissonanten Mollakord an. Am Ende verliessen die Konfirmanden die Kirche zu einem Ragtime, der an eine Mischung aus Zirkusmusik und Charlie Chaplin erinnerte. Kurz: Eine gelungene Feier!

Gegessen wurde in einer eigens für uns eröffneten Pizzeria – wie es sich der Grosse wünschte.

Am Montag war ich kaputt. Das ist das frustrierende an der Fatigue, egal ob gut oder anstrengend – beides kann zuviel sein. Wenn es nur das Schlechte wäre, könnte man das ja umgehen. Aber nein, auch tolle Erlebnisse kosten Energie. 🙁

Und da ich bereits am Donnerstag einen Super-Abend hatte, am Samstag Besuch, wars definitiv zuviel. Der Besuch hätte uns eigentlich ins Restaurant eingeladen, doch meine Jungs wollten nicht. Sie seien ja “heikel.” Gut, sagte ich, dann kocht ihr. Also kochten die Kids und die Erwachsenen puzzelten. So geht das.

Zum Glück waren anschliessend Schulferien, so dass ich mich in mein Auto setzte und ein paar Tage floh.

Auch der Grossvater war an der Komfirmation und hielt lange durch. Trotz gerade begonnenen Infusionen. Ein paar Tage später kam er jedoch mit einer Lungenentzündung ins Spital. Lungenentzündung und Krebs – keine gute Kombi. Die Ursache haben sie nicht gefunden, vermuteten sie aber in der Infusion. Also wurde die gestoppt.

Er entliess sich selbst, um mit den Enkeln Karfreitag zu feiern, musste wieder hin. Nach einer Verschlechterung ging ich ihn mit meinen Jungs besuchen. Ich sagte ihnen, dass es nicht gut aussieht, er wahrscheinlich nicht mehr aus dem Spital kommt. Weil ich muss ja immer all diese Gespräche führen, das macht der Papa nicht.

Es war ein auf und ab. Er regelte nach Möglichkeit noch alles. Letzten Freitag sagte ich noch, ich glaube, er hält nur noch durch, bis er soweit alles organisiert hat. Dann kam das Telefon vom Papa meiner Jungs: Er sei auf seinen Wunsch weg von der IMC und den Maschinen in ein normales Zimmer verlegt worden. Zum Sterben.

Es ging alles extrem schnell.

Vom Nachfühlen

Es ist schon etwas ätzend, wenn man genau weiss, was jemand gerade durchmacht. Die Fragen, die Zweifel, das Verdrängen, das Abtauchen, die Angst, die Anteilnahme, die Lust nach Normalität.

Als meine Schwester ihre Diagnose kriegte, sagte sie zu mir: Ich weiss nicht, wie du das gemacht hast. Mit Kindern, deinem Ex, die Arbeit…. Ich bewundere dich dafür. Ich muss ja nur für mich schauen.

Das hat mich sehr berührt. So viel habe ich gehört, wie stark ich sei. So viel wirkte es wie eine Floskel. Auch weil ich mich ganz viel nicht stark, sondern verzweifelt, hoffnungslos, einsam, wertlos und als menschlicher Abfall fühlte: Das ist kaputt. Das kann weg. Aber von ihr wirkte es nicht wie eine Floskel. Ihr habe ich geglaubt.

Und als ich sie am Abend vor der ersten Chemo anrief, dann kannte ich ihre Fragen und Zweifel von mir: Was wird nun? Was geschieht mit meinem Körper? Kann ich noch arbeiten? Wer bin ich jetzt? Was bin ich?

Nicht die Krankheit. Das ist das Wichtigste. Nicht nur als Krankheit wahrgenommen werden.

Meine Schwiegermutter erzählte mir am Samstag, sie könne mir jetzt nachfühlen. Sie habe gedacht, sie hätte es schon gekonnt, als ich in der Akuttherapie war. Aber nun wisse sie, man kann es erst nachfühlen, wenn man in der gleichen Situation ist. Niemand weiss vorher, wie es wirklich ist.

Ja, Krebs ist kein Unfall und keine Grippe. Krebs zeigt einem unmissverständlich, dass das eigene Leben endlich ist. Das Freiheit, Gesundheit und Selbstverwirklichung Privilegien sind und keine Selbstverständlichkeit. Die Zeit schrumpft zum jetzt. Die Wahlmöglichkeiten werden weniger. Garantie für ein Happy End gibt es keine. Und wichtig sind die Liebsten und weiter nur wenig mehr.

Und ich denke, Stadium IV ist nochmal ein ganz anderes Kaliber, das ich hoffentlich nie kennen lerne. Ich würde mir nie erdreisten zu sagen: Ich weiss, wie du dich fühlst.

Bei gar nichts.