Chemo-Leak: Tipps gegen Nebenwirkungen

Die Chemie, die einem bei der Chemotherapie intravenös verabreicht wird, scheint sehr toxisch zu sein.
Wenn das medizinische Personal nur mit Handschuhen hantiert, immer wiedet kontrolliert, dass nix aus der Vene läuft und als beim letzten Mal 3 Tropfen auf dem Boden landeten: Riesentücher, Anruf in der Spitalapotheke, was noch zu beachten sei. Na die Beutel kommen auch in einen Kästchen mit dem grellorangen Warnaufkleber: Achtung Zytostatika!

Entsprechend lang ist die Liste der Nebenwirkungen. Entsprechend gross das dazugehörende Medinotfallköfferli. Gegen fast alles gibt es eine Pille und noch ein paar Tipps. Hier meine persönlichen, die ich dann wohl laufend noch ergänzen werde.

Reservemedikamente: Sind zum Nehmen da. Besonders gegen Übelkeit. Nicht aushalten wollen, sonst merkt sich der Körper Chemo=Übelkeit. Das ist eine schlechte Konditionierung.
Kraft und Durchhaltewillen braucht die Behandlung so oder so. Nicht unnötig für behandelbare Nebenwirkungen verschwenden!

Übelkeit: grosses Thema bei mir.
>Reservemedikament halbe Stunde vor dem Aufstehen nehmen
>Nüsse (gesalzen oder natur) helfen, dass der Magen nie ganz leer ist
>kleine Mahlzeiten, sich nicht an Essenszeiten halten, essen wenn man kann
>kurze Zubereitung (Bratengerüche können schwierig sein)
>in der grössten Übelkeitsphase nicht das Lieblingsessen essen! (schmeckt nie wieder)
>Ingwerwasser trinken (frische Ingwerscheibchen in die Wasserflasche)
>geruchsbeutralere Zahnpasta

Verstopfung: Ja hurra, auch als Nebenwirkung der Antikotztablette.
>viel trinken
>falls Leinsamen nehmen, dann bevor man verstopft ist, ist die Verdauung erst mal lahmgelegt…
>sich was verschreiben lassen. Verstopfung ist nicht hungerfördernd.

Geschmacksveränderung: Habe ich zum Glück nur ansatzweise.
>neue Speisen ausprobieren, die können nicht enttäuschen
>nie auf Vorrat kochen/einkaufen. Was heute lecker, ist morgen vielleicht bäh…

Mundschleimhäute: gereizt bis blutig, jedenfalls sehr empfindlich
>Zahnbürste super soft
>milde Zahnpasta, die gegen Bakterien hilft
>evt. vom Arzt Mundspülung/Crème verschreiben lassen
>viel Zähneputzen, falls es grad nicht geht, Mund mit Wasser ausspülen (spült auch Bakterien weg)
>Ingwer-Ananas-Getränk: Ingwersud kochen, auskühlen mit Ananassaft und Wasser mischen. (Ananas soll die Speichelflüssigkeit anregen)
>keine scharfen Gerichte (mehr 😭😭)

Schleimhäute UG: zuerst dachte ich, na klar, wieder mal ein Pilz. Aber nein, trockene Schleimhäute gibts halt nicht nur im Mund, also crèmen mit Fettcrème (hilft auch ohne Chemo zur Pilzprophilaxe) oder z.B. Mandelöl
>Baumwollschlüpfer sind besser fürs Klima. Müssen nicht Omas sein. Boxershorts gehen auch. ✌🏻

Haut: Leider ist sie überall empfindlicher, also direkt bei Therapiebeginn crèmen und pflegen. Hoher Lichtschutz 50, Mandelöl für die Kopfhaut, reichhaltige Crème für Körper inkl. Füsse und Hände! Sind sie mal eingerissen, wirds mühsam.

Müdigkeit: Du unberechenbares Ding!
>Pausen planen und Aktivitäten planen. Ich gehe jeden Tag raus. Und wenn ich vorher und nachher schlafen muss und der Ausflug ganze 10 Minuten dauert.
>Hilfe annehmen. Viele wollen helfen. Lassen wir sie.
>Geduldig sein (hahaha, das üb ich noch)

Fatigue: siehe Müdigkeit. Und ansonsten, sorry. Es gibt Versuche, aber noch kaum Studien mit einem Medikament, dass ich das Glück habe, bereits zu nehmen. Und so komme ich vielleicht um die Fatigue herum, wer weiss. Einen Vorteil darf es auch geben, ADHSler zu sein.

Brennen beim Pinkeln: nach der Chemo wahrscheinlich zu wenig getrunken. Das Gift muss raus. Möglichst verdünnt.

Muskelkrämpfe: Von den Chemo, Langzeitnebenwirkung (wie die Neuropathien, da Nerven geschädigt wurden), netterweise an so spannenden Stellen, wie Fussinneres oder tiefe Bauchmuskeln: Schweppes-Tonic mit Chinin trinken (Alternativ gäbe es noch ein Malariamedikament, aber dessen Name ist mir grad entfallen und zum Neurologen will ich grad nicht). Magnesium hilft nicht, nur gegen Obstipation. 😬😬

Generell: Viel trinken, viel crèmen. Immer nachfragen, ob was hilft.

Gespräche: Beim Onkokomiker

Bei der Vorbesprechung zur 2. Chemo.

Ich: Erhöhen Sie die Dosis? Also, gibts jedes Mal mehr?
Er: Wir pumpen Ihnen alles rein, was wir haben.
Ich: 🤨
Er: Nein, Entschuldigung! Mir wurde heute schon gesagt, ich solle mich mit den Sprüchen etwas zurück halten. Ich bin schon im Wochenend-Modus, wies scheint.
Ich: Nur zu. Ich halt das locker aus.
Er: Da bin ich froh. Das hab ich mir gedacht. Ich passe mich ja schon etwas den Patienten an…

Ich fahre mir durchs Haar. Sieben Haare bleiben hängen.

Ich: Entschuldigen Sie, kann ich mal zum Papierkorb? Sonst gibts ne Sauerei im Sprechzimmer.
Er: Ah, die Haare kommen jetzt.
Ich: Ja so Laubbaum im Herbst. Bald haben sie mich überholt und mehr Haar als ich.
Er lacht.
(Er hat ultrakurze Haare mit verlängerter Stirn und Ratsherrenecken.)

Gespräche: Bogenschiessen ist noch nicht geplant

Ich erkläre dem Grossen, warum man heute meist zuerst Chemotherapie macht und dann erst OP. Das waren jedenfalls die Gründe, die mir der Herr Onkologe genannt hatte.
-Psychologie: Frau weiss, warum sie diese Nebenwirkungen ertragen muss und kann das Tumorschrumpfen ertasten.
-Onkologie: Sieht, ob Chemo wirklich wirkt.
-Chirurgie: Und die Chance ist erhöht, dass brusterhaltend operiert werden kann, wenn der Tumor erst schrumpft. Sie also die Brust nicht wegnehmen müssen.

Kleiner: Müssen sie dir die Brust wegnehmen??!
Ich: Nein! Keine Angst. Also hoffentlich nicht. Aber im Moment ist das kein Thema. Sonst muss ich Bogenschiessen.
Grosser: Bogenschiessen?
Ich: Ja. Waren das nicht die Amazonen in der griechischen Mythologie, die sich die Brust abnahmen um besser Bogenschiessen zu können? Und ich bin ja Linkshänder und Links. Passt ja.
Grosser: Maaaamiiii!
Ich: Ja, entschuldige bitte. Aber ohne Galgenhumor und blöde Sprüche kann man so eine scheissschwierige Situation ja nicht ertragen.
Grosser: Stimmt!
Kleiner: Dein Kopftuch ist cool! Wie ein Pirat!

Nebenwirkung Schrumpfradius: No WGT

Nächstes Wochenende wäre ich in Leipzig. Mein alljährlicher Eskapismus. Dekontextualisieren am WGT. Ein Wochenende schwarze Wohlfühlklamotten, Docs, Metall im Gesicht, Rumhüpfen im Heidnischen Dorf, Absinth degustieren mit der ganzen verrückten Truppe.
Alles Dinge die im Alltag nie so geballt Platz haben.
Aber leider bewege ich mich im Moment eher in der weissen Szene, als in der schwarzen. Spital statt goth.

Dabei hätte ich das perfekte Aussehen! Glatze tragen am Wave-Gothic-Treffen viele, bleich schminken wäre auch nicht nötig.
Und…. jetzt werd ich auch noch zum Vampir.
Nach jedem Zähneputzen spuck ich Blut. Die Schleimhäute leiden etwas unter der Chemo.
Muss mal meine Care Nurse anrufen. Vielleicht gibts wo Ersatzschleimhäute? 🤔

Dieses Nicht-Ausbrechen-Können ist schwer. Ich entkomme der Krankheit nicht. Ich kann nicht einfach kurz flüchten, Ferien, Ausgang, einmal Vollsuff bitte.

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Mein Bewegungsradius ist klein geworden. Nächstes Wochenende werde ich mich meinen schwarzen Umhang überwerfen, Nasenkette montieren, Docs, Fencheltee trinken und mich zu Exitmusic etwas bedauern.

Gespräche: Mit und ohne Haar

Ich persönlich fand das Perücken Outing viel schwieriger. Die fühlt sich gar nicht nach mir an. Sieht gut aus, natürlich. Aber ich fühle mich verkleidet.
Und als ich sie am Dienstagmorgen anzog, um mich für die definitive Anpassung bereit zu machen, strahlte mich mein Kleiner an: Jetzt siehst du wieder wie Mami aus!

Ihm zuliebe bin ich an diesem Morgen zur Anpassung. Damit ich Abends beim Schulanlass mit Haaren gehen kann und es ihm nicht peinlich sein muss.
Das war sicher gut so, denn so eine Aula voll Mütter und Väter ist ja auch ohne Chemotherapie schon anstrengend genug. Da muss man ja nicht gleich oben ohne erscheinen..

Abends war ich erschöpft. Sehr.

Kleiner: Bist du traurig, dass du jetzt eine richtige Glatze kriegst?
Ich: Ja, das auch. Bisschen Haare waren noch cool. Aber ich bin jetzt auch einfach sehr, sehr müde.
Kleiner: Mami, nicht traurig sein. Du bist und bleibst meine Mami. Mit oder ohne Haare!

Heiteres Rätselraten für Nicht-Betroffene

Was ist das? Wofür braucht man diesen Gegenstand?img_3186

a) Messlöffel?

b) Spielzeug FSK 18?

c) Haarstoppel-vom-Kopf-Kratzer?

d) …. ?

 

Ich müsste jetzt natürlich noch ein paar Zeichen hintippen, damit man nicht sofort die Lösung sieht. Aber ich habs ja nicht so mit sinnlosem Wortverbrauch, dazu bin ich viel zu ungeduldig mir selbst und dem Leben gegenüber, darum werde ich diesen Füllwörtertext relativ knapp halten und mich der Lösung der Rätsels in einem weiteren Dialog annähern.

Ich: Sehe ich meinen Haaransatz mit Vollglatze noch? Ich meine, wie weiss ich, wo ich die Perücke genau platzieren muss?
Sie: Ich mache eine Markierung.
Ich: Mit Permanent Marker?
Sie: Also ich tätowier sie gleich auf den Schädel!
Ich: Hoffentlich Bio-Farben.

Das mit dem Tattoo haben wir dann doch sein lassen.
Der komische Plastiklöffel oben ist mein Haaransatz-Marker:
1. Legen Sie das gerundete Ende beim Ansatz des Nasenrückens, an.
2. Das andere Ende markiert die Stelle, an der die Haarprothese anzulegen ist.

Und das Beste, da der Marker tastbar ist, funktioniert das auch für unbebrillte Halbblinde. Nicht dass ich mich mit falsch geklebter Perücke in Cousin Itt aus der Addams Family verwandle.

 

Gespräche: Hippie-Mutter

Exposition. Nennt man das wohl in der Psychologie.
Ich spaziere einmal fast als Shinéad durchs Quartier.
Obwohl ich nicht weiss, ob die Hemmschwelle kleiner wäre mit Chemoturban. Ist ja auch dann alles klar.
Natürlich sieht man das. Wie man auch eine Perücke sieht. Nur können sich dann alle Beteiligten bei einer Begegnung leichter entscheiden, darüber hinweg zu sehen.
Mache ich das Richtig? Keine Ahnung. Man kriegt ja leider keine Anleitung mit, mit der Diagnose.

Grosser: N. hat mich im Werkunterricht gefragt, ob du eine Glatze hast.
Ich: Und was hast du gesagt?
Grosser: Nein. Und dann habe ich erzählt, was du dir für Frisuren geschnitten hast!
Ich: Oh! Und?
Grosser: Das fanden sie sehr lustig. M. hat auch nachgefragt.
Ich: War dir das peinlich? Du darfst schon von der Krankheit erzählen.
Grosser: Nö. Und wenn sie blöde Sprüche machen, dann fühlen sie sich ja extrem schlecht, wenn ich das vom Krebs sage. Aber sie fanden es einfach nur lustig.
Ich: Ok. Und haben sie noch was gesagt?
Grosser: N. meinte: „Deine Mutter ist ein Hippie geworden!“
Ich: Na das ist ja nicht das schlimmste Urteil!