Bäääh

Ich hatte eine akute Einsamkeits-Weltschmerz-Krise. So richtig Bäääh!

Erst vermisste ich meinen Ex. Das kam schon länger nicht mehr vor, aber seit ich ihn aus Selbstschutz komplett aus unserem Leben sperren musste, begann ich mich langsam auch wieder an die guten Zeiten zu erinnern, die wir zusammen hatten. Die Zeiten der Intimität und des Abenteuers.

Also eigentlich vermisste ich nur die guten Seiten, dass da jemand ist, der mich in und auswendig kennt. Der mir das Gefühl gibt, gesehen zu werden.

Dann vermisste ich mein altes Kollegium. Obwohl es das in dieser Art nicht mehr gibt. Bis mir auffiel, dass ich schlicht mein altes Leben vermisse.

Jedes Jahr werde ich vor den Sommerferien ganz melancholisch und dünnhäutig und möchte eigentlich nur in den Arm genommen werden. Beim Schulschluss-Feuerwerk weinte ich regelmässig. Wünschte mir meinen Ex an meine Seite.

Und nun ist es wieder, wie im alten Leben: Zum ersten Mal arbeite ich wieder mein Pensum, habe eine eigene Klasse und sehe sogar wieder wie vorher aus (plus Narbe und Tattoos).

Ich bin offenbar in ein Zeitloch gefallen. Und es war nicht gemütlich dort unten. Gar nicht. Und das rauskraxeln war sehr anstrengend. Wieso vermisst man was, dass man so gar nicht mehr zurück will? Voll ätzend!

Diese krassen Weltschmerz-Liebeskummer-Tiefschläge sind bestimmt auch der Fatigue geschuldet. Denn sie überkommen mich in dieser Heftigkeit nur, wenn ich zu viel um die Ohren hatte. So als Instant-Depression.

Und da nun sehr viele (Schul-)Anlässe, Parties und Feiern anstanden und anstehen, muss ich mehr raus in den Wald, um Kraft tanken zu können.

Also merke: Wenn ich am Sonntag oder Montag meine Abstinenz mit einer Flasche Wodka beenden möchte – erst hier nachlesen. Bäume umarmen. Tee trinken. 🙂

Vor 2 Jahren

Heute vor zwei Jahren wurde ich operiert. Und wären nicht die unseeligen Erinnerungsfunktionen von Apps, die einem ein Foto auf den Bildschirm laden, hätte ich das Datum nicht auf dem Schirm gehabt.

Vor zwei Jahren war ich auch an einem Klassentreffen, haarlos. Die Organisatorin – deren Mutter an Brustkrebs verstorben war – freute sich enorm, dass ich trotz Glatze kam. Der Rest war bestürzt, betroffen, irritiert, beschämt, interessiert und beschwichtigend. An jenem Treffen wurde beschlossen, jedes Jahr einen freiwilligen Stammtisch stattfinden zu lassen und sicher nicht mehr zehn Jahre zu warten. Dann kam Corona und in diesem Jahr wars soweit: 3G in der Dorfkneipe.

Vergleichsfoto mit Dorfkneipe

Als ich gestern – etwas zu spät – den Raum betrat, wo alle schon am langen Tisch aufgereiht sassen, ging ein erleichtertes Raunen durch die Runde. Das war fast körperlich spürbar. Eine Gruppe, mit der ich nur ein Jahr zur Schule ging, nicht mal gross vernetzt war… “Heute komme ich mit Haaren!” Begrüsste ich alle. Lachen. Aufatmen. Weiterquatschen.

Später dann einzelne Stimmen. “Du bist die erste, die ich kenne, die wirklich schlimm krank war.” – “Es war so ein Schock das letzte Mal!” – “Man sieht es dir gar nicht an!!? Wie wenn nix gewesen wäre!” – “Aber es geht dir gut? Ist alles gut?”

So weit so gut.

Natürlich kam das Gespräch auf Corona. Gut waren keine Gesundbeter am Tisch – wären auch nicht rein gekommen, ohne Zertifikat. Aber dann wird manchmal so von der Einschränkung und dem Verzicht gesprochen. Und gewisse Gespräche kriegen Schräglage, wenn jemand den Lockdown und die Einschränkungen, die Angst vor Corona mit der Situation eines Krebspatienten vergleicht: Wir alle hatten Angst. Wir alle haben verzichtet.

Das Wir ist der Unterschied. Die Pandemie trifft die ganze Gesellschaft – auch wenn in unterschiedlichem Ausmass. Alle Zusammen sind betroffen, haben/hatten Angst vor der Krankheit da draussen. Zusammen durch die Pandemie (- auch wenn es ein paar Extremistengruppen mit Hang zu Verschwörungstherorien gibt). Wir gegen die Gefahr da draussen.

Krebs ist einsam. Krebs macht einsam. Da ist keine Gefahr draussen, vor der man sich schützen kann. Die einem im besten Fall als Gesellschaft näher zusammenrücken lässt. Die Krankheit war in mir, teil von mir. Natürlich stehen einem mit Glück nahe Menschen bei. Hilflos oft. Und je hilfloser man selbst als Patient ist, desto mehr tragen sie. Sie stehen bei. Stehen bei einem, daneben. Nicht drin. Da steht man allein.

Da gibt es nichts zu Vergleichen. Und beides parallel mag ich mir gar nicht vorstellen. Das Gejammere von Gesunden, die nicht ins Kino oder in die Ferien können, wenn man selber oder eine nahestehende Person in der Akuttherapie und ums über- oder weiterleben kämpft…🙈🙈🙈

Man beachte die gesunde Gesichtsfarbe. Die war am Klassentreffen 2019 aber nicht so arg!

Das Zombiefoto poppte heute im Spital auf: haarlos, blau-bleich vom Markierungsfarbstoff für den Sentinel und mit tiefen Augenringen.

Ich besuchte meine Schwester, die letzten Montag wieder ins Spital musste. Sie sah zum Glück um einiges gesünder aus!! Sie wurde erneut operiert, da sich die Stents verschoben hatten. Die zusätzliche Biopsie sollte nur eine Vorsichtsmassnahme sein – ich hoffe es.

Für einmal ein anderes Spital in einer anderen Stadt (dat musste sein!)

Krieg und rosa Zuckerguss

Spannend wie ein Krimi. Einmal durch die ganze Geschichte von der ersten Erwähnung der Krankheit bis zu den zielgerichteten Therapien im neuen Jahrtausend.

Ernüchternd, wie viele Behandlungsoptionen per Zufall entdeckt wurden. Try and Error am lebenden Objekt. Sei es mittels radikaler Mastektomie (Brust weg, Brustmuskel weg, Brustbein weg, alle Lymphknoten weg) oder in den 80ern mit dem Motto „Möglichst viel Chemie reinpumpen.“ Um Krebs zu besiegen, müsse man den Kranken halt an den Rand des Todes bringen.

Beeindruckend, was von den Vorstellungen noch heute rumgeistert. Von der schwarzen Galle, dem Patienten, der selber Schuld an der Erkrankung ist. Oder die ganze Kriegsmetaphorik, die ursprünglich von Lobbyisten in Amerika genutzt wurde, die nach der Mondlandung (alles ist möglich, auch Heilung bei Krebs), Forschungsgelder auftreiben wollten. Damals war es aber der Kampf der Forscher und Ärzte gegen den Krebs. Und irgendwann hat sich das verschoben. Heute kämpft der Patient gegen den Krebs. Oder verliert den Kampf gegen ihn.
Warum sagt keiner, die Onkologen, Chirurgen, Radiologen haben den Kampf verloren? Wann geschah die Schuldverschiebung?

Mir gefiel die Kampfrethorik nie. Obwohl auch ich im Kampsaumodus war während der Akuttherapie. Da hat nicht viel Trauer oder Verzweiflung platz. Es gibt kein Innehalten, weil es von Termin zu Termin, von Behandlung zu Behandlung geht.
Und nachher ist da diese Ratlosigkeit: Wer bin ich denn jetzt? Was kann ich noch? Was will ich? Und kommt er zurück oder bleibe ich verschont?

Und auch ich überlege mir immer, soll ich nun einen so deprimierenden Eintrag (wie gestern) verfassen? Soll ich ihn etwas abschwächen und besser verdaubar machen? Weil ich hab den Krebs ja „besiegt“. Hurra und Traraa!
All die Yoga-Meditations-Inspirations-Instafrauen machen mich misstrauisch. Rosazuckerguss ist auch ein Verdrängungsmechanismus. Und doch möcht ich manchmal auch rosa Zuckerguss drauftun!

Aber Krebs ist halt nicht einfach weg. Der kommt nicht und geht wieder. Der bleibt irgendwo, als Thema, Nebenwirkung, Erschöpfung, Unfruchtbarkeit. Manchmal tritt er in den Hintergrund und klopft erst bei der Dreimonatskontrolle an: Hallo? Vergiss mich nicht.
Es ist ein neues Leben. Kein schlechtes, aber im Moment ein kompliziertes.

Nach der Lektüre dieses Buches bin ich einfach unheimlich froh, heute und hier zu leben.

So viel

Ich weiss nicht was schreiben, weil sprachlos lässt mich das grad zurück, das Leben. Zurück fallen auf das Sofa, von dem ich mich erhoben, um los zu legen und dann zurück geworfen, niedergestreckt.
Sprachlos, wortlos.
So dass ich mich kaum getraue zu antworten, auf die Frage: Wie gehts? Was ist mit…?
Und mich sogar mein Cancer-Buddy mitleidig anschaut und ein permanentes Kopfschütteln die Schilderung meiner letzten Wochen begleitet.
Sind die Zuhörer*innen besonders empathisch, tun sie mir fast schon leid.
Und doch, geht es mir und meinem Grossen und Kleinen gut. Wir sind ein perfektes Trio!
Und alles andere wird!!!
Muss werden…
Ich bin kampfesmüde auf so vielen Ebenen. Und ich spreche nicht mal vom einen C, noch vom weltumspannenden anderen C.
Schickt mir Sonne!

☀️🙏🏻

5 Monate

Heute gehört: Was? Deine letzte Chemo war Ende Juli? Das ist ja noch gar nicht lange her. Also, so wie ich dich kennen gelernt habe, dachte ich, das sei schon viel länger her. Ich verbinde dich so, wie ich dich kenne, überhaupt nicht mit Krankheit….

Stimmt, eigentlich ist die letzte Infusion erst genau auf den Tag 5 Monate her. Und auch wenn ich mit Nachwirkungen wie Fatige, Ödem, Muskelkrämpfe, brüchige Nägel, Menopause zu kämpfen habe… ansehen tu es wohl nur noch ich mir, weil Kurzhaarchemolöckli.

Also Geduld,
Geduld Tinkakartinka. 🙂

Weihnachten 2020

Viele haben Mühe mit Weihnachten in diesem Jahr. Ich nicht.
ich geniesse die Ruhe und die stressfreie Zeit.
Grosse Familienfeste mochte ich noch nie. Bei Gruppen über fünf Personen finden selten gute Gespräche statt und bei Familien fällt dann jede*r in seine oder ihre Rolle…
Da meine Mutter gestürzt ist und alle Besuche abgesagt hat, habe ich sie gestern mit ihrem Lieblingsnachtisch überrascht. Geschenkübergabe vor der Haustür, kurzer Austausch: 10min-Turboweihnacht.

Begonnen hatte der Tag mit meinem Grossen und meinem Kleinen, die mir beim Kekse backen halfen. Und wir werweisten den ganzen Tag, welches der Geschenke, die über Nacht unterm Christbaum aufgetaucht sind, für wen sei.
Der Kleine weiss eigentlich auch schon, wer das Christkind in Wirklichkeit ist. Aber in stillschweigendem Einkommen lassen wir das Christkind, Christkind sein. Es bringt die Geschenke. Meine Jungs bedanken sich bei mir und ich leite den Dank weiter… 😉
Den Zauber bewahren wir uns!

Wir verdrückten Sushi für eine ganze Kompanie (0,5 Kilo Reis, 2 Avocados, Lachs, Karotten, Gurke) und guckten Timm Thaler – das war natürlich mein Wunsch, weil Weihnachtszeit ist Nostalgiezeit. Und neben Nesthäckchen war das meine Lieblingsweihnachtsserie.

Im Gegensatz zu letztem Jahr denke ich diese Weihnachten nicht dauernd: Ich bin so froh, am Leben zu sein.
Ich bin auch nicht mehr in der Bestrahlung. Nur noch hormongeblockt.
Aber weinen musste ich doch.
Weil ich glücklich bin, dieses Leben, diese Kinder zu haben.
Was für ein Glück!

Post von früher

Heute habe ich einen Brief gekriegt. Vom 28. November 2019.
Geschrieben nach der ersten Bestrahlung. Von mir.

Es ist berührend diesen Brief zu lesen. Meine Angst davor, dass ich das – was ich während dieser Krankheit gelernt und entdeckt habe, wieder vergessen zu haben und vom Alltag aufgefressen worden zu sein.
Und vor allem meine Klarheit über die damalige Situation: Arbeit, Krankheit, Beziehung.

Ich gebe mir darin Tipps und Anweisungen und habe sie tatsächlich inzwischen verinnerlicht und nicht vergessen.
Vielleicht schreibe ich noch mal mehr dazu.

Ein wichtiger Satz aus dem Brief verrate ich: Du musst das Leben nicht neu erfinden.

Danke, Tinkakartinka.
Du hast so viel geschafft in diesen anderthalb Jahren!
🌻