Pest oder Cholera: Polyneuropathie

Geplant sind 12 Gaben wöchentlich an Taxol. Jede dritte Woche kommen die Antikörper dazu.
Das ist der Standard.
Doch die zwölf Wochen werden nur bei 20% der Frauen durchgezogen.
Bei den anderen 80% muss die Dosis reduziert werden oder die Therapie früher gestoppt.
Dass die Nerven absterben von der Chemo, ist klar. Die Frage ist, wann und in welchem Ausmass.
Eingebläut wurde mir, es wirklich zu sagen, wenn die Taubheitsgefühle in den Fingerkuppen und Zehen beginnen, das Kribbeln. Und erzählt von der Patientin, die sich nicht getraute etwas zu sagen, aus Angst davor, dass der Krebs siegt.
Und die zwei Jahre nach der Therapie sich immer noch kaum die Knöpfe an den Kleidern schliessen kann, weil sie nichts spürt.
Die Schäden seien irreversibel.
Ich solle schauen, nicht dass ich dann nicht mehr alleine meine Ohrringe anziehen könne und immer meinen Mann bräuchte. Würde ja echt auch schwierig werden, so ohne Mann.
Und jetzt ohne Partner.

Es könne dann schon störend sein, die Taubheit beim Tastaturschreiben.
Beim Tastaturschreiben?
Echt?
Und was ist mit Berührungen, die man nicht mehr spürt? Wie soll ich modellieren, malen, ohne Gefühl in den Fingerspitzen?
Ich müsse entscheiden, was für mich tolerierbar sei. Ich bekäme ja noch Antikörper. Die helfen auch gegen den Krebs.

Tolerierbar finde ich Fühllosigkeit gar nicht! Dazu ist mir Sinnlichkeit zu wichtig.
Also eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Krebs oder tote Nerven?
Und jedes Mal, wenn das Gefühl zurück kommt, bin ich einfach nur froh.
Entscheidungsaufschub.

Wartebank

Ich bin weg.
Jeden holt es ein, wurde mir von der Psycho-Onkologin gesagt. Kaum jemand schafft es, nur optimistisch durch die Krebstherapie zu gehen.
Seit Montag hängen die Flaggen tief.
Und ich habe das Gefühl, zu verschwinden, nicht mehr zu wissen, wer ich bin.
Diese Krankheit überschattet alles. Und damit meine ich nicht die Symptome oder die Angst vor einem unguten Ende.
Vielleicht ein wenig.
Ich existiere nicht mehr unabhängig der Diagnose, unabhängig vom Krebs.
Ich kann mir nie entfliehen, mich nie finden, geschweige denn neu erfinden.
Ich erkenne mich nicht mehr wieder.

Ich sitze und warte. Ich gehe an meine Termine, Spital, Physiotherapie. Dann sitze ich wieder und warte.

Darauf, dass ich mir wieder begegnen kann.

Gewittersturmdiagnose

Eine Krebsdiagnose ist wie ein Gewittersturm.
Wenn sich der Himmel plötzlich verdunkelt und ein bedrohlich gelber Schimmer über dem Dunkelgrau liegt. Die Sonne ist weg. Das Licht auch. Nur dunkel drückt der Himmel, schwebt die drohende Gefahr schwer über allem.
Noch singen die Vögel, doch verstummen sie bald.
Die ersten Windböen fegen durch die Baumkronen. Einzelne Blätter lösen sich und verschwinden mit dem Wind.
Noch kann man raus, sich das Haar zerzausen lassen im Wind. Den Vögeln lauschen, die immer aufgeregter bis panisch gegen den Sturm ansingen.
Blätter wehen weg, Blätter wehen her.
Igendwo klackert ein loser Fensterladen.
Weit entfernt ein Wetterleuchten.

Plötzlich wird es still. Der Wind ist weg. Die Vögel verstummt.

Und dann bricht der Sturm mit seiner Urgewalt über einem zusammen. Der Himmel stürzt herab, löst sich auf, übersäät den Boden mit Eiskugeln.
Und keiner weiss, was alles zerschlagen und zerfetzt wird, was heil bleibt und was danach gerodet werden muss.
Es wird kalt.

Nebenwirkung: Unknown Identity

Meine Fingerabdrücke sind weg!
Meine Haare sowieso, die Augenbrauen verabschieden sich auch noch verspätet…

Also liebe Verbrecher, wenn ihr wenig (DNA)Spuren hinterlassen wollt, braucht ihr keine Sturmhaube und müsst ihr eure Fingerkuppen nicht mit einem Messer abschaben, wie im Film Seven.
Geht einfach auf die Onkologie und pfeifft euch über Wochen die richtige Chemo rein!

PS: Zweifarbige Fingernägel gibts gratis dazu.

1. Chemotag mit Regen

Onkologe: Heute ohne Skateboard?
Ich: Naja, es regnet!
Onkologe: Und da kann man nicht skateboarden?
Ich: Eher nicht.
Onkologe: Warum?
Ich: Es ist rutschig und das Board verliert den Pop. Die Spannung im Holz.
Onkologe: Aha. Das kann nur einer fragen, der nicht skateboarded, oder?
Ich: Ja.
Onkologe lacht: Und sie sagt noch ja!!

Aber. Olé!
4/12 = 1/3 Taxol ✅
bzw. 8/16 von allen Chemos ✅ 💪🏻💪🏻